Fahrzeugversicherer - was nun? Wohin geht die Fahrt?
Ellen Bocquel, Bocquel-News, vom 1. September 2016
Wo geht’s lang mit der Kfz-Versicherung? Längst schon ist nicht mehr alles „eitel Sonnenschein“ bei den Autoversicherern. Bis zum Jahr 2030 soll das Prämienvolumen um 30 Prozent zurückgehen. Wie empfindlich fährt die Technik den Assekuranzen mit ihrer Tarifvielfalt an den Karren?
"Eine Disruption im Jahr 2025 ist technisch möglich, aber nur unter idealtypischen Rahmenbedingungen, die wir bis dahin nicht erreichen werden“, sagte Martin Gräfer, Vorstandsvorsitzender der Bayerische Beamten Versicherung AG in der Versicherungsgruppe die Bayerische. Während der K-Tagung der aktuariellen Beratungsgesellschaft Meyerthole Siems Kohlruss und des Rückversicherers Scor mit seiner Tochter Scor Global P&C Deutschland in Köln nahm Gräfer Stellung. Es ging es um den Ist-Stand in der Kraftfahrtversicherung und ihre künftige Entwicklung.
Die Zukunft der Kfz-Versicherung – ob sie eitel Sonnenschein verspricht, wie es das Tagungsmotto hinterfragt, weiß niemand. Allerdings, das machten die Referenten der K-Tagung einmal mehr deutlich, bringt das autonome Auto einen umfassenden Wandel. Wann das selbstfahrende Auto auf Deutschlands Straßen rollt, bleibt nach Expertenmeinung weiter im Dunkeln. Daran scheiden sich die Geister: Vermutlich werden voll automatische Fahrzeuge schon in den nächsten zehn Jahren das Straßenbild prägen.
Diese Ansicht vertritt auch Michael Schramek vom “Netzwerk intelligente Mobilität”. Anderer Meinung ist Gerrit Bagschik von der TU Braunschweig. „Es fehlen Werkzeuge zur Modellierung und Validierung“, sagte er während der K-Tagung. Besonders für Landstraße und Stadtverkehr sei das autonome Fahren zeitlich “noch sehr weit weg.”
Selbst, wenn eines Tages autonome Autos marktreif werden, würde die Bestandsdurchdringung neuer Technologie bei Pkw „noch ihre Zeit dauern“, sagte Helmut Söhler, Hauptbevollmächtigter der Scor Global P&C und Mit-Gastgeber der K-Tagung. Wenn er die Zeiträume betrachte, die die Einführung von Fahrerassistenz-Systeme bisher brauchte, sei auch an eine flächendeckende Einführung autonomer Autos nicht so schnell zu denken. Und vor allem: Autonomes Fahren werde auf Autobahnen vielleicht möglich sein, auf Landstraßen werde es dagegen schwieriger. „Über den Stadtverkehr müssen wir erst gar nicht sprechen.“
Alle Tagungsteilnehmer stimmten zu, dass in der Kfz-Versicherung eine Zeitenwende bevorstehe – aber vermutlich eher erst morgen als heute. Vor mehr als 100 Jahren verschwanden Pferde aus dem Straßenbild. Das Auto setzte sich durch. „Ein ähnlich radikaler Wandel kommt jetzt erneut auf uns zu. Die Autoindustrie kooperiert immer enger mit IT-Giganten, Mobilitätsanbietern sowie Zulieferern und nicht zuletzt mit der Versicherungswirtschaft“, betonte Helmut Söhler.
Martin Gräfer machte in seinem Vortrag „Innovative Kfz-Versicherungsprodukte im Zeitalter der Digitalisierung“ deutlich, dass es noch dauern werde, bis selbstfahrende Autos, Elektrofahrzeuge und neue Mobilitätskonzepte wie Carsharing das gängige Modell der Kfz-Versicherung komplett verändern werde. Viele Experten erwarten dagegen, dass neue Mobilitätskonzepte die Autoversicherung schon in den nächsten zehn Jahren völlig verändern werden. Diese Ansicht teilt Martin Gräfer nicht. Der Versicherungsmanager begründete das mit dem Stand der Technik und der Infrastruktur, die längst noch nicht so ausgereift seien. Überraschend: Gräfer hält auch Telematik-Tarife „derzeit noch für keine gute Idee“. Damit Telematik-Tarife wirklich funktionieren, müssten die Autohersteller erst die im Fahrzeug anfallenden Daten für Versicherer freigeben. Nur so könnten sich die Tarife auch für kleinere Gesellschaften rechnen, erklärte Martin Gräfer.
Nachdem die Bayerische zusammen mit Rückversicherern ein entsprechendes Telematik-Projekt aufgesetzt und sich die Tarife dazu im europäischen Ausland genau angeschaut habe, sei die Entscheidung für sein Haus momentan noch gegen die Telematik gefallen. Beispielsweise sei die Technik so wenig ausgereift, dass selbst der Telematik-Stecker, den der GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft seinen Mitgliedern anbietet, von der Idee her zwar gut, aber in der Praxis einen (technischen) Schönheitsfehler habe. Dieser Stecker kann laut Gräfer die gesammelten Daten nicht selbst senden, sondern benötigt dazu ein Smartphone. „Wenn der Kunde das Gerät austauscht und vergisst, die Bluetooth-Verbindung wiederherzustellen, funktioniert es nicht mehr“, führte Martin Gräfer als Beispiel an.
Eine brauchbare aber teurere Alternative wären sogenannte OBD2-Stecker, die selbst sendefähig sind. Während der GDV-Stecker nur 42 Euro kostet, muss man für der OBD2-Stecker 75 Euro auf den Tisch legen. Das rechnet sich laut Gräfer bei der niedrigen Kfz-Durchschnittsprämie von 350 bis 400 Euro in Deutschland für die Anbieter nicht. Die Kunden würden im Rahmen der Telematik und gutem Fahren auch noch Prämiennachlässe erwarten. Wo da noch Marge herkommen könnte, ist für Gräfer ein Rätsel. Das sehe im Ausland anders aus, betonte er. Beispielsweise liege die Kfz-Durchschnittsprämie in Irland bei rund 800 Euro. Da könnte man eine ganz andere Rechnung aufmachen. Jetzt gehe es vor allem erst einmal um die Daten der Autobauer. Die Regierung müsse die Autohersteller dazu verpflichten, die Daten, die in den Fahrzeugen anfallen, für die Versicherer freizugeben.
Auch das Elektroauto sieht Gräfer trotz staatlicher Förderung noch nicht auf dem Siegeszug, denn in Deutschland gebe es schlicht weg einfach noch nicht genügend Aufladestationen, bei denen sich alle Fahrzeuge egal welcher Marke mit Strom betanken lassen könnten.
Ebenfalls noch sehr langsam gehe es mit der Zunahme von Carsharing-Autos voran. Laut Martin Gräfer sind in diesem Jahr gerade einmal 16.000 solcher Fahrzeuge in Deutschland gemeldet. „Bis aus den 16.000 Fahrzeugen 1,6 Millionen und damit eine ernstzunehmende Größe geworden ist, wird es eine Weile dauern“, sagte er. „Disruption sieht anders aus.“
Auch in Schweden beim Versicherer If P & C vertritt man die Ansicht, dass die technischen Kfz-Entwicklungen die Autoversicherer bisher kaum aus der Bahn werfen könnten. „Wir werden auch 2020 noch im Geschäft sein“, sagte der if-Manager Gilbert Kofi Adarkwah, während der K-Tagung. Ganz gleich, ob es mehr oder weniger autonom fahrende Autos gebe, bleibe dennoch Versicherungsbedarf bestehen. Man denke hier nur an die Absicherung gegen Diebstahl oder Schäden am Auto durch herabfallende Äste.
Laut Gilbert Kofi Adarkwah sind die nordischen Länder schon dort, wo die meisten anderen EU-Länder erst noch hinwollen. Hervorzuheben sei hier, dass es beispielsweise in den nordischen Ländern nur noch sehr wenige tödliche Autounfälle gebe. Das sei auf die Regierung in Schweden zurückzuführen, die die Anschaffung moderner, sichererer Fahrzeuge explizit fördere.
Das geschehe in Kooperation mit der Versicherungswirtschaft. Das funktioniere, weil die Autokäufer für bestimmte mit viel Sicherheit ausgestattete Automodelle im ersten Jahr die Versicherungs-Police gratis erhalten. Günstig ausgewirkt hätten sich auch der Ausbau des Straßennetzes unter Sicherheitsgesichtspunkten und die stringente Ahndung von Geschwindigkeitsüberschreitungen. „Als ich in Frankfurt war, habe ich ein Taxi genommen, das 140 Stundenkilometer gefahren ist“, berichtete Kofi Adarkwah. „Dafür würde man in Norwegen ins Gefängnis kommen.“ Weniger Unfälle und Verkehrstote bedeuten nicht nur für einen Versicherer wie If weniger Schäden.
„Bis 2025 sinkt das Prämienvolumen im Kfz-Versicherungsmarkt zunächst nur auf 13 Prozent”, prophezeite Ralf Assenmacher von Meyerthole Siems Kohlruss. Spätere und schnellere Einbrüche des Volumens seien danach programmiert. Laut den Berechnungen von Meyerthole Siems Kohlruss werde sich das aktuelle KH-Marktvolumens dann bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent reduzieren. „Aufgrund ethischer und rechtlicher Diskurse, aber auch der technischen Umsetzbarkeit, könnte dies aber auch deutlich länger dauern“, sagte Assemacher. Dabei dürfe man die Rolle der Politik bei der Einführung neuer Autotechnologien - wie beispielsweise jetzt beim Elektroauto – nicht unterschätzen.
„Deutschland fehlt der politische Wille für eine schnelle Einführung von Elektroautos”, kritisierte Gilbert Kofi Adarkwah. Er berichtete, das beispielsweise Norwegen heute führend bei der Anzahl verkaufter Elektro-Neuwagen ist. Erschwinglich seien sie dort wegen guter staatlicher Unterstützung. “Wir in Deutschland trauen uns ja noch nicht einmal, den Zwei-Takt-Roller zu verbieten”, pflichtete Thomas Siems den Ausführungen Kofi Adarkwahs bei. Siems, Experte für Digitalisierung, sieht dabei „nicht weniger als einen Wertewandel in der Mobilität“, der bevorstehe.