Autonome Autos und die Zukunft der Kfz-Versicherung
Thilo Guschas, Zeitschrift für Versicherungswesen, vom 15. September 2016
Ssteht seine Einführung schon bald bevor, kommt sie viel später oder ganz anders als gedacht? Das autonome Auto, das die Branche grundliegend wandeln wird, war Leitthema der K-Tagung 2016.
„Das selbstfahrende kleine Stadtauto der Zukunft ist billig“, glaubt Michael Schramek vom „Netzwerk intelligente Mobilität“. Auf der „K-Tagung“, veranstaltet von der Scor und Meyerthole Siems Kohlruss, gehört er zum Lager der Optimisten. Denn schon bis 2025 rechnet er mit voll automatisch fahrenden Fahrzeugen – inklusive aller damit einhergehenden gesellschaftlichen Umbrüche. Gerrit Bagschik von der TU Braunschweig hält dagegen. „Die Methoden zur Absicherung sind noch nicht ausreichend. Es fehlen Werkzeuge zur Modellierung und Validierung“, meint Bagschik mit Blick auf die Hochautomation, bei der es keinen menschlichen Fahrer mehr gibt. Bagschik forscht an einem Pilotprojekt eines autonomen Fahrzeugs. Vollautomatisches Fahren für Landstraße und Stadtverkehr, zeigt sich der Praktiker überzeugt, „ist noch sehr weit weg“.
Über das Wann streiten sich die Experten; doch dass es kommt, ist Konsens. Ralf Assenmacher (Meyerthole Siems Kohlruss) versucht, die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den Kfz-Markt mathematisch zu beschreiben, wobei er mit einer Bestandsaufnahme beginnt. „Profitable Ergebnisse sind auch in 2016 zu erwarten, allerdings könnte der Beitragszyklus 2017 wieder kippen“. Doch dies ist nichts gegen die Wirkung des autonomen Fahrens: „Ich rechne mit einem Einbruch von 30% des aktuellen KH-Marktvolumens bis 2030“. Aufgrund ethischer und rechtlicher Diskurse, aber auch der technischen Umsetzbarkeit könne dies aber auch etwas länger dauern.
Unveränderter Schadenbedarf in Teilkasko
Helmut Söhler (Scor) prognostiziert für K gesamt eine Reduktion im Marktprämienvolumen per 2025 um 13%, bedingt durch einen sinkenden Schadenbedarf in KH um 15% und in VK um 20%. In Teilkasko (TK) hingegen erwartet er einen unveränderten Schadenbedarf per 2025, da eine weitere Bestandsdurchdringung (teil-)autonomer Fahrzeuge auf die TK-Schadenarten Glasbruch, Feuer, Diebstahl und Naturkatastrohen keinen Einfluss nimmt. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine Bestandsdurchdringung neuer Technologien bei PKWs ihre Zeit braucht“, betont er. „Zwischen Marktreife und flächendeckender Marktpenetration lagen bei allen bisherigen Fahrer-Assistenzsystemen mindestens 15 Jahre.“
Mit Blick auf das Jahr 2025 kommentierte Onnen Siems (Meyerthole Siems Kohlruss): „Es gibt ja den bekannten Spruch ‘Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen werden.’ Ich glaube aber, dass es keinen Grund gibt, pessimistisch zu sein. Der Wandel muss nur aktiv gestaltet werden“.
Ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, um die Einführung neuer Autotechnologien aktiv zu beeinflussen, liegt bei der Politik. Dies zeigt das Beispiel Elektroautos. „Deutschland fehlt der politische Wille für eine schnelle Einführung von Elektroautos“, analysiert Gilbert Kofi Adarkwah vom norwegischen Versicherer „If“. Norwegen ist führend bei der Anzahl verkaufter Elektro-Neuwagen. Erschwinglich sind sie dort durch staatliche Unterstützung. Eine Erfolgsgeschichte – und kein Einzelfall. Auch sind auf Norwegens Straßen weniger Verkehrstote zu beklagen als im EU-Durchschnitt. Eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb von Städten und empfindliche Strafen gegen Temposünder zeigen ihre Wirkung; auch dies ein Verdienst entschlossenen politischen Durchgreifens.
Demografischer „digitaler Graben“ in Bezug auf Mobilität
„Wir in Deutschland trauen uns ja noch nicht einmal, den Zwei-Takt-Roller wie in China zu verbieten“, klagt Thomas Siems (Accenture). Dabei stehe nicht weniger als ein Wertewandel in der Mobilität bevor, angetrieben durch eine schlummernde Unzufriedenheit mit den jetzigen Verhältnissen, besonders in der internationalen Perspektive. 2015 bestehen 37 Megacities – für sie sei der bisherige Autoverkehr eine Belastung. In Deutschland gibt es andere Motivlagen, aber auch die machten neue Mobilitätskonzepte attraktiv. Etwa der Durchschnitts-Neuwagenpreis von rund 29.000 Euro – der einer durchschnittlichen täglichen Nutzung von nur einer Stunde gegenübersteht. Moderne Mobilität, in der ein autonomes Auto nicht angeschafft, sondern nur für Einzelfahrten gebucht wird, schaffe hier Abhilfe.„Wichtig sein wird künftig Flexibilität statt Besitz oder Status“. Siems rechnet mit einem demografischen „digitalen Graben“ in Bezug auf Mobilität.
Auf progressive gesinnte Kunden setzt „Die Bayerische“, wie Martin Gräfer berichtet. Das Unternehmen verspricht ein „digitales Reinheitsgebot“: Kunden können selbst entscheiden, welche ihrer Daten genutzt werden dürfen. Über „TankTaler“ –einen OBD2-Stecker im Auto – wird vernünftiges Fahren mit „Bonustalern“ belohnt, die beispielsweise an Tankstellen eingelöst werden können. Kreative Innovationen, die das Geschäft mitbestimmen. Denn noch ist ja kein autonomes Auto zugelassen.
Nicht einmal die Telematik ist bis heute wirklich ausgereift, gibt Kai Atenhan (DEVK Versicherungen) zu bedenken. „Die Qualität der gemessenen Daten ist zumindest fraglich.“ Nötig wäre hierfür eine korrekte Bewertung der Risikosituation, nicht nur des Fahrverhaltens. Es geht um Grundfragen, über die dem Versicherer keine Daten vorliegen: Wie abgefahren sind die Reifen? Wie sind die Wetterverhältnisse? Und wer sitzt überhaupt hinter dem Steuer?