Oletzky: „Den Schweinezyklus in der Kfz-Versicherung hat die Digitalisierung nicht verändert“
Tobias Daniel, VWheute, vom 4. September 2019
VWheute: Sie sagen, die Digitalisierung verändert die Kfz-Versicherung in vielfältiger Hinsicht: Können Sie uns einige konkrete Beispiele geben? Und inwieweit verändert sich auch das Kundenverhalten durch den digitalen Wandel?
Torsten Oletzky: Die Veränderungen kommen aus drei wesentlichen Bereichen. Da ist erstens die Digitalisierung des Automobils. Moderne Automobile erfassen eine Unmenge an Daten, die für die Kfz-Versicherung interessant sein können. Das Auto erkennt, wenn technische Daten Auffälligkeiten aufweisen und warnt den Fahrer, schon bevor Teile der Technik ausfallen und in der Folge einen Unfall verursachen können. Mit Assistenzsystemen werden Fahrer unterstützt und die Wahrscheinlichkeit, dass es durch menschliche Fehler zu einem Unfall kommt, reduziert. Und das Fahrzeug erkennt und meldet, wenn es in einen Unfall verwickelt war. Hat der Versicherer Zugriff auf solche Daten, kann er seinem Kunden einen deutlich besseren Service anbieten.
Der zweite Bereich ist die Veränderung des Kundenverhaltens im Zuge der Digitalisierung. Kunden beschaffen sich, bevor sie einen Vertrag – z.B. eine Versicherung – abschließen, anders und umfangreicher Informationen. Ebenso wird die Serviceerwartung des Kunden durch die digitalen Geschäftsmodelle anderer Branchen geprägt. Netflix, Spotify oder Amazon mögen nicht unmittelbar mit Versicherungen zu tun haben; der Kunde fragt sich aber, warum der Service seiner Versicherung nicht genau so unkompliziert funktionieren kann, wie der Service dieser Anbieter aus der digitalen Ökonomie.
Und der dritte Bereich ist die Digitalisierung der Versicherungsprozesse selbst. Die InsurTech-Revolution mit dramatischen Verschiebungen bei den Marktanteilen mag bislang ausgeblieben sein. Aber die neuen Anbieter setzen Standards, an denen die etablierten Spieler kaum vorbei kommen. Die Digitalisierung hält so schrittweise auch Einzug in die Welt der Versicherungsprozesse.
Telematiktarife sind in der Branche noch nicht sonderlich weit verbreitet. Manch Versicherer hat entsprechende Tarife wieder eingestellt. Warum tut sich die Branche so schwer damit und wie lassen sich entsprechende Angebote noch befeuern?
Deutschland ist in der Tat bei den Telematiktarifen weit hinter Märkten wie Großbritannien, den USA oder Italien zurück. Hierfür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Zum einen sind deutsche Kunden traditionell besonders sensibel, wenn es um ihre Daten geht. Und ich finde das ausdrücklich gut, wenn Kunden sehr bewusst mit ihren Daten umgehen – wenigstens solange dies nicht zu einer Totalverweigerung führt. Aber auch die Versicherer spüren in Deutschland offensichtlich keinen Druck, stärker auf Telematiktarife zu setzen. Das mag u.a. damit zu tun haben, dass das deutsche SFR-Klassen-System wenigstens bei Fahrern mit einer längeren Versicherungshistorie zu einer ganz vernünftigen Risikoeinstufung führt.
Bei Fahranfängern funktioniert das aber gerade nicht – dort können Telematiktarife also einen wichtigen zusätzlichen Erklärungsbeitrag zur Risikoeinstufung leisten. Auch unterschätzen deutsche Versicherer möglicherweise noch den Wert der Daten, die durch Telematiktarife gewonnen werden können. Ich hoffe, dass die Branche den Wert dieser Tarife rechtzeitig selbst erkennt. Lösungen wie in Italien, wo jeder Kfz-Versicherer verpflichtet ist, mindestens einen Telematiktarif anzubieten, wären dann nicht erforderlich.
Traditionelle Versicherer sollten Ihrer Meinung nach von den digitalen Anbietern lernen. Was können die neuen Player besser als die alten und was machen diese Ihrer Meinung nach besser?
Ja, ganz eindeutig. Die neuen Anbieter zeigen, wie man einfache, intuitive Geschäftsprozesse online abbildet. Sie erreichen damit die „Digital Natives“ deutlich besser als die etablierten Marktteilnehmer, die von der jungen Generation vielfach als umständlich und bürokratisch wahrgenommen werden. Dabei kommen viele der neuen Anbieter häufig von der Technikseite.
Im Hinblick auf das Verständnis der Zusammenhänge in den Versicherungsmärkten sind die etablierten Anbieter weiterhin meist deutlich überlegen. Außerdem verfügen sie über eine deutlich größere Datenbasis und eine große Anzahl aktiver Kundenverbindungen. Die Ausgangssituation der etablierten Anbieter ist also nach wie vor gut – nur ausruhen sollten sie sich darauf nicht, denn die neuen Marktteilnehmer werden lernen und aufholen.
Stichwort Prämiengestaltung: Manch Marktbeobachter rechnet mit einem neuen Preiskampf zwischen den beiden größten Kfz-Versicherern. Wie ist Ihre Prognose dazu? Und wird sich die Kfz-Versicherung künftig „nur“ über den Preis definieren?
Ein paar Dinge hat die Digitalisierung nicht verändert und der „Schweinezyklus“ der Kfz-Versicherung gehört wohl dazu. Die Prognosen eines neuen Preiswettbewerbs sind also vermutlich nicht unplausibel. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass sich die Kfz-Versicherung in Zukunft nur über den Preis definieren wird. Zwar hat der Preis durch die zunehmende Transparenz über Online-Vergleiche weiter an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig bin ich aber davon überzeugt, dass sich Anbieter in Zukunft noch mehr über gute, schnelle, intuitiv verständliche Prozesse sowohl im Abschluss- als auch im Schadenbereich differenzieren können. Hier ergeben sich durch die Digitalisierung zusätzliche Möglichkeiten für die Kfz-Versicherer.
Torsten Oletzky spricht heute auch auf der K-Tagung in Köln – ausgerichtet von der Scor Rückversicherung Deutschland und Meyerthole Siems Kohlruss – zur Digitalisierung der Kfz-Versicherung.
Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.